„Ich war ein bisschen planlos“

Berichterstattung 29.01.2025, Westfälische Nachrichten, Gunnar A. Pier

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Emsdettener verstolperte Start ins Berufsleben – jetzt hat er seinen Weg gefunden

Von Gunnar A. Pier

Emsdetten. Im Beratungszimmer der Emsdettener Fielmann-Filiale reicht David Lanvers einen Kopfhörer über den Tisch. Hörtest! Die Kundin muss einen Knopf drücken, wenn sie den Summton vernimmt. David Lanvers protokolliert die Ergebnisse. Und wenn es so sein soll, erklärt er später die verschiedenen Hörgerät-Modelle. Der 22-Jährige macht eine Ausbildung zum Hörakustiker. Und das war lange nicht abzusehen: Der junge Mann war ins Strudeln geraten. Erst „Lernen fördern“ half ihm ins Berufsleben.

Als Lanvers im Jahr 2021 seinen Hauptschulabschluss in der Tasche hatte, kam die Verwirrung. „Ich wusste nicht, wo es hingehen sollte“, erinnert er sich. „Verwirrend“ sei es gewesen, wie viele mögliche Berufe er bei seiner Suche fand.

Er entschied sich für eine Ausbildung zum Orthopädiemechaniker – und entdeckte schnell, was ihm an dieser Arbeit richtig Spaß macht: „Es ist etwas Handwerkliches – und ich kann Menschen das Leben angenehmer machen.“ Lanvers begann in einem Betrieb mit Filialen in mehreren Orten des Münsterlands. Er sollte sie alle kennenlernen. Doch das überforderte den jungen Hauptschulabsolventen. Sehr früh aufstehen, mitunter zwei Stunden mit Zug und Bus durch die Region zur Arbeit fahren: „Ich konnte das einfach nicht mehr.“

Ihm gelang der Wechsel zu einem familiärer geführten Betrieb. Aber auch dort kam er nicht zurecht, fühlte sich gemobbt. „Ich wurde nicht richtig betreut“, beschreibt er im Gespräch mit unserer Redaktion sein Empfinden. „Es ist schwierig für mich, mich wohlzufühlen“, räumt er ein und deutet psychische Probleme an.

Lanvers schmiss hin.

Da stand er nun – mit abgebrochener Ausbildung. Eine Zeit lang jobbte er bei einem Elektrotechniker. Doch wie es weitergehen könnte? Dann kam Ärger zu Hause dazu, Streit mit dem Bruder, er zog in eine Wohnung. „Damit hatte ich Schwierigkeiten, das ganze Ummelden bei den Behörden, das war alles zu viel.“ Er zog wieder zurück. „Ich war ein bisschen planlos.“

Ins Berufsleben einsteigen und arbeiten: David Lanvers konnte es nicht – aber er wollte ja. Und so sprang er auf einen kleinen Artikel in der Zeitung an, rief beim Verband „Lernen fördern“ an und fragte nach dem vom Land NRW und der Europäischen Union geförderten Projekt „Ausbildungswege NRW“.

„Unser Ziel ist es, Interessierte in Ausbildung zu bringen“, erklärt die Pädagogische Fachkraft Benedikt Bischoff die Idee. Und seine Chefin, Vorstandssprecherin Andrea Rüter, ergänzt: „Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, junge Menschen auf dem Weg zu verlieren.“ Das Projekt beruht auf Freiwilligkeit: Hilfe bekommt nur, wer mitmacht. „Die müssen sich ja schon proaktiv bei uns melden“, verdeutlicht Bischoff.

Genau das tat David Lanvers. Höflich und ehrlich sei er aufgetreten, erinnert sich Bischoff – das seien seine Pluspunkte gewesen. Mit der nötigen Zuverlässigkeit aber habe es Probleme gegeben. „Das lag sicherlich an den fehlenden Strukturen in seinem Leben“, mutmaßt Bischoff heute. „David musste erst wieder in einen Alltag hineinfinden. Da waren auch mal deutliche Worte nötig.“

Das „Lernen-fördern“-Team half dem Emsdettener dabei, die eigenen Stärken zu erkennen und an Schlüsselqualifikationen wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit zu arbeiten. Dazu gibt es typischerweise einmal in der Woche ein Treffen. Und das gerne auch mal früh morgens, um zu schauen, ob die Teilnehmer es wirklich durchziehen.

Nicht in jeder Phase sei er sicher gewesen, dass David Lanvers es schafft, erinnert sich Bischoff. Ein Praktikum brach er schon nach einem Tag wieder ab. Er sei dort nicht klargekommen, berichtet Lanvers. Doch er arbeitete sich zurück ins Leben und organisierte sich gar eigenständig ein neues Praktikum. Dafür war er im Dezember 2023 einfach zur Fielmann-Filiale gestiefelt und hatte nachgefragt.

Ein kleiner Schritt, der ein großer werden sollte: „Das läuft hier“, fasst Ausbilderin Lisa Sendatzki zusammen. Lanvers sei pünktlich und zuverlässig erschienen und habe sich sehr interessiert und engagiert gezeigt. „Er hat viel aus eigenem Antrieb gemacht und Fragen gestellt, die richtig Sinn machen“, schwärmt Sendatzki. „Uns interessiert die Vorgeschichte auch gar nicht. Es zählt nur, was hier vor Ort passiert.“

Gemeinsam einigten sich beide Seiten darauf, das Praktikum zu verlängern. Und schon bald wurde mehr daraus. Zum 1. Februar 2024 begann Lanvers eine „Einstiegsqualifizierung“, die Vorbereitung zur Ausbildung. In der Phase zahlte ihm die Arbeitsagentur gut 250 Euro pro Monat, bald schon stockte Fielmann auf. „Lernen fördern“ half unter anderem mit „Stütz- und Förderunterricht“.

Für den Emsdettener war das eine Gelegenheit, sich zu beweisen. Der neue Arbeitgeber konnte den Neuen erst mal kennenlernen. „Wir haben ihn in allen Lebenssituationen erlebt“, berichtet Sendatzki.

Zum Start des nächsten Ausbildungsjahres im August 2024 stieg David Lanvers dann voll ein: Er macht nun eine Ausbildung zum Hörakustiker. Den ersten Schulblock in einem Ausbildungszentrum in Lübeck hat er auch schon hinter sich, ohne Probleme. Es scheint, als habe da jemand nach einem verstolperten Start das Laufen gelernt und mache nun mit Erfolg, was ihm so liegt: Etwas Handwerkliches, das Menschen das Leben angenehmer macht.