Eltern kämpfen um Kita- Platz für behindertes Kind

WN-Bericht über ein Kinderland-Kind | 9.4.2024, Oliver Hengst, Westfälische Nachrichten Greven

 

Kinderland Greven Teichstraße

Greven - Der dreijährige Marlon aus Greven soll eine Kita besuchen, wie jedes Kind. Doch Marlon braucht wegen medizinischer Probleme besondere Fürsorge. Die Eltern kämpften mit der Krankenkasse um die Übernahme der Kosten einer 1:1-Betreuung. 

Alles schien normal, die Schwangerschaft verlief ohne Komplikationen. Nichts deutete darauf hin, dass etwas anders laufen könnte, als erwartet. Doch bei der Geburt offenbarte sich: Mit Marlon stimmte etwas nicht.

Er war – obwohl kein Frühchen - ein überaus zartes Kind, wog nur 2530 Gramm verteilt auf 47 Zentimeter Körpergröße. Er hatte motorische Schwierigkeiten und eine ungewöhnliche Körperhaltung, er schrie nicht, sondern piepste eher. Alles an ihm schien irgendwie schlaff zu sein. Die Ärzte sprachen vom „Floppy-Infant-Syndrom.“

Dreieinhalb Monate im Krankenhaus

„Er hat anfangs auch Sauerstoff gebraucht“, erzählt Elke Rosendahl, die für die Organisation „Bunter Kreis Münsterland“ die Betreuung von Familien übernimmt, denen es ähnlich geht wie jener Familie, in die Marlon hineingeboren wurde. Die sich den Herausforderungen eines viel zu früh oder eines behindert geborenen Kindes gegenübersehen. „Die Eltern sollen sich um ihr Kind kümmern können“, sagt die Nachsorge-Fachkraft.

Der Bunte Kreis versuche daher, möglichst viel Entlastung zu schaffen, mit Rat und Tat. Man half Marlons Eltern zum Beispiel beim Beantragen eines Pflegegrades und bei vielen anderen Dingen. Die Familie möchte ihre Geschichte erzählen, um anderen Mut zu machen. Ihr Nachname oder ein Foto, auf dem Marlon zu erkennen wäre, sei dafür nicht nötig, sagen sie. Ein Wunsch, den die Redaktion respektiert.

Marlon verbrachte in seinem jungen Leben insgesamt dreieinhalb Monate im Krankenhaus, zum Teil auf der Intensivstation. Immer wieder waren OPs nötig. Krankenpflege, Therapien, Arztbesuche, medizinische Geräte und Gutachten gehörten vom ersten Tag an zum Alltag der jungen Familie.

Liebenswert, aufmerksam und neugierig

„Für den Start, den er hatte, hat er sich super entwickelt“, sagt Elke Rosendahl. „Er hat einen starken Willen“, betont Marlons Mutter. „Er ist sehr liebenswert und aufmerksam. Er möchte viel selber machen.“ Elke Rosendahl ergänzt: „Er ist sehr neugierig, da merkt man, dass er kognitiv fit ist.“

Das Sprechen sei inzwischen etwas besser geworden. Das Essen dagegen bereitet immer noch große Probleme. „Er probiert eigentlich alles, kann nur nicht schlucken“, schildert seine Mutter. Er wird daher via Sonde ernährt. In genau festgelegten Abständen muss diese Sonde an- und abgestellt werden – auch nachts. Das schlaucht natürlich, aber: „Wir machen es einfach. Man wächst da rein.“

„Die haben es abgelehnt. Dann haben wir Widerspruch eingelegt. Der wurde auch abgelehnt.“ Marlons Mutter über den Antrag an die Kasse

Die Eltern hoffen, dass Marlon irgendwann „normal“ essen kann. Zeitweise muss Marlon beatmet werden. „Er krabbelt nicht so gut, Gehen klappt nur an der Hand“, sagt seine Mutter. Ein Pflegegutachten zählt etliche Diagnosen auf: Entwicklungsverzögerung, muskuläre Hypotonie (mangelnde Spannung der Muskeln), Sekretmobilisationsproblem (Schleim muss abgesaugt werden). Und noch so manches mehr.

Doch Marlon ist eben nicht nur das kranke Kind, dessen Diagnosen mehrere Seiten füllen. Marlon, inzwischen drei Jahre und vier Monate alt, ist ein Mensch, der von seinen Eltern geliebt wird.

Marlons Eltern bemühten sich um Kita-Platz

Sie möchten ihm einen Alltag ermöglichen, der so normal wie möglich ist. Dieser Alltag sieht natürlich auch vor, dass Marlon im Kindergarten mit anderen Kindern spielt. Also bemühten sie sich um einen Kita-Platz in Greven. „Ich habe ihn online angemeldet, wie alle anderen auch“, sagt die Mutter. Bei Gesprächen in Kitas wurde dann deutlich: Ja, man wird Marlon aufnehmen.

Vorausgesetzt, dass eine 1:1-Betreuung durch eine Pflegekraft gesichert ist. Die Erzieherinnen würden sich um den pädagogischen Teil kümmern, die Pflegefachkraft müsse Pflege und medizinische Versorgung sicherstellen, etwa das regelmäßige (und überlebenswichtige) Absaugen.

Also beantragte die Familie bei ihrer Krankenkasse die Übernahme der Kosten einer solchen Pflegefachkraft. „Die haben es abgelehnt. Dann haben wir Widerspruch eingelegt. Der wurde auch abgelehnt“, schildert die Mutter. Die Begründung der Kasse: medizinische Notfälle würden „nicht täglich“ eintreten. Also sei auch eine 1:1-Pflegefachkraft nicht nötig. „Es war eine Häufung von Sachen, die es den Eltern erschwert haben“, blickt Elke Rosendahl zurück.

Letzte Option: Klage gegen die Kasse

Die letzte Option: eine Klage vor dem Sozialgericht. Aufgeben kam nicht in Frage. Also entschied sich die Familie, den juristischen Weg zu gehen. Sie klagte. Und bekam Recht. Die Krankenkasse wurde verpflichtet, die Kosten für eine Pflegefachkraft zu übernehmen, der Weg in die Kita war für Marlon frei.

Seit Ende November besucht Marlon nun die Kita Kinderland an der Teichstraße. Erst von 8 bis 12 Uhr, inzwischen von 8 bis 14 Uhr. Die Familie ist happy, weil Marlon happy ist. Mit der Betreuung in der Kita sind Vater und Mutter sehr zufrieden.

Auch die Koordination mit der Pflegefachkraft, die permanent an Marlons Seite ist, klappt gut. An der Kita, das betont die Mutter ausdrücklich, hat es nicht gelegen, im Gegenteil. Die große Hürde war die Krankenkasse.

„Er hat seit der Kita-Zeit super Fortschritte gemacht.“ Elke Rosendahl, Bunter Kreis Münsterland

„Ich bringe Marlon hin und hole ihn ab“, berichtet Marlons Mama vom neuen Alltag. Ihr sei es wichtig, den Kontakt zum Erzieherinnen-Team und zu anderen Eltern der Kita zu pflegen. So wie es für Marlon wichtig sei, andere Kinder zu treffen. „Er hat seit der Kita-Zeit super Fortschritte gemacht“, freut sich Elke Rosendahl mit der Familie. „Man merkt das richtig“, bestätigt Marlons Mutter.

„Für die Sozialentwicklung ist ein Kindergarten Gold wert. Kinder lernen von Kindern“, sagt sie. Essen, Laufen, Sprechen – Marlon robbt sich in kleinen Schritten voran. Auf eben diese positiven Impulse in der Kita habe man gehofft. „Und die hat es auch tatsächlich gegeben“, hat Elke Rosendahl beobachtet.

Steine aus dem Weg geräumt

Ob sich der Kampf mit der Krankenkasse am Ende gelohnt habe? „Ja“, sagt Marlons Mutter, ohne lange zu überlegen. „Es war natürlich auch anstrengend.“ Aber ja, es sei richtig und wichtig gewesen, zu kämpfen.

„Man hat ja eigentlich nichts getan“, sagt sie. Warum also das gesetzlich verbriefte Recht auf einen Kita-Platz nicht in Anspruch nehmen? „Ich hatte gedacht, dass es selbstverständlich ist.“ Womit sie nicht gerechnet hatte: dass sie erst Steine aus dem Weg räumen müssen. Doch sie mussten es, und sie taten es. Für ihn.

Viel weiter in die Zukunft mögen die Eltern derzeit noch nicht schauen. Erstmal sind sie froh, dass das mit der Kita geklappt hat und dass es Marlon dort gut geht. Aber, ja – sagt die Mutter, natürlich gehe man davon aus, dass der Erstgeborene irgendwann auch eine Schule besuchen kann. Dass er seinen Weg gehen wird wie jedes andere Kind. 

„Ich hatte immer ein gutes Gefühl, dass alles gut wird. Von Anfang an“, sagt seine Mutter.

Infos zu Unterstützungsangeboten des Bunten Kreises Münsterland (und zu Spendenmöglichkeiten) gibt es auf der Website der Organisation.

 

Foto: Oliver Hengst Marlon aus Greven braucht wegen medizinischer Probleme besondere Fürsorge. Für den Besuch einer Kita benötigt er eine Pflegefachkraft an seiner Seite. Kosten, die die Krankenkasse nicht übernehmen wollte. Foto: Oliver Hengst