Schraubenzieher, Zange, Bürste – alles in Jago Büschers Werkzeugkasten liegt genau dort, wo es hingehört. Ordnung ist für den 22-Jährigen mehr als das „halbe Leben“ – und das nicht nur redensartlich. Jago Büscher ist Metallbauer mit Fachrichtung Konstruktionstechnik – und er ist Autist. Ein Handicap, mit dem der Einstieg in die Arbeitswelt nicht einfach war. Bei Dömer Metallbau hat er eine Chance erhalten und genutzt.
Seit fünf Jahren gehört Jago Büscher fest zum Team des Nordwalder Unternehmens mit seinen rund 40 Mitarbeitenden. Zunächst als Auszubildender im Metallbau dann als Geselle. Der Weg dorthin war kein leichter. Viele Absagen habe er nach der Schulzeit erhalten und von den offiziellen Stellen wenig Unterstützung, schildert Büscher. Nicht für den ersten Arbeitsmarkt geeignet, hieß es. Man empfahl ihm, eine Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte aufzunehmen. Dort jedoch erkannte man sein Potenzial. Über ein längeres Praktikum kam er schließlich zu Dömer Metallbau – und blieb.
Unterstützt hat ihn von Anfang an sein Mentor Max Jaufmann. Er ist seit vielen Jahren als Metallbauer im Betrieb angestellt und generell erster Ansprechpartner für den Nachwuchs – genau wie für die zurzeit zwei Auszubildenden in der Fertigung. Da galt es zunächst, viel Vertrauen aufzubauen. „Jago war zu Beginn sehr schüchtern brauchte viel Anleitung und Ermutigung. Nach und nach ist er regelrecht aufgeblüht, kann frei sprechen – und wir sind sehr zufrieden mit seiner Arbeit“, sagt der 37-Jährige.
„Wir haben damals bewusst gesagt, du machst die volle Ausbildung von dreieinhalb Jahren. Die Prüfung hat Jago anstandslos bestanden“, erzählt Lothar Dömer nicht ohne Stolz mit Blick auf den Werdegang seines Mitarbeiters. Dabei geholfen habe auch „Lernen fördern“, ein Unternehmensverbund, der sich unter anderem die Förderung und Integration von Menschen mit Lernbehinderung zum Ziel gesetzt hat, aber heute auch häufig Auszubildende etwa bei Prüfungsvorbereitungen unterstützt. Denn: „Das Bildungsniveau der Jugendlichen, nicht unbedingt deren praktischen Fähigkeiten, ist doch stark gesunken in den vergangenen Jahren“, meint der 57-Jährige.
Jago Büscher ist sichtlich stolz: „Hier habe ich mich von Anfang an wohl gefühlt und aufgenommen, so wie ich bin. Und ich habe den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt geschafft!“, erzählt er lächelnd. Was er anderen in seiner Situation rät? „Mutig zu sein. Sich zu trauen sich zu bewerben – und dabei ehrlich Dinge anzusprechen.“ Und den Arbeitgebern? „Mehr Praktikumsplätze anzubieten. Und einfach mal jemanden zum Bewerbungsgespräch einzuladen, der auf den ersten Blick vielleicht nicht passt, und miteinander zu reden.“
Lothar Dömer: „Es gibt einfach viele Vorurteile. Allerdings muss eine Behinderung sich ja nicht per se negativ auf die Arbeit eines Mitarbeitenden auswirken oder seine Leistung mindern. Man sollte immer erst den Menschen sehen, der viele Fähigkeiten mitbringt“, rät er. Menschen mit Einschränkungen oder Behinderungen könnten bei entsprechender Unterstützung erfolgreich auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen. „Es ist wichtig, jeden da abzuholen, wo er steht“, betont der Firmenchef. Im Fall von Jago Büscher bedeute dies, er brauche Struktur, sei nicht jeden Tag woanders einsetzbar. „Wir haben uns sehr gut arrangiert. Und wir sind froh, dass wir Jago bei uns haben.“
Auch bei der Kreiswirtschaftsförderung WESt ist die stärkere Integration behinderter Menschen in den ersten Arbeitsmarkt ein wichtiges Thema: „Das Thema Fachkräftemangel ist allgegenwärtig. Menschen mit Behinderung fanden bislang zu wenig Berücksichtigung. Dafür, ihre Chancen auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Kreis Steinfurt zu erhöhen, setzt sich auch die 2023 gegründete Arbeitsgemeinschaft „Arbeit für Menschen mit Behinderung im Kreis Steinfurt“ ein, die unter der Leitung der WESt zahlreiche Institutionen aus der Region an einem Tisch versammelt.
Dömer Metallbau ist ein positives Beispiel für gelebte Integration. Wir möchten noch mehr Betriebe motivieren, diesem Beispiel zu folgen“, erklärt WESt-Geschäftsführer Christian Holterhues.
„Jeder Versuch ist es wert. Gerade angesichts des Fachkräftemangels sollten Unternehmen über den Tellerrand schauen“, rät auch Dömer. Viele Betriebe zahlten jedoch lieber eine Ausgleichsabgabe anstatt die gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtarbeitsplätze mit behinderten Menschen zu besetzen. Warum?
„Sie scheuen die vermeintlichen „Hürden“ in Form eines besonderen Kündigungsschutzes oder zusätzlicher Urlaubstage, auf die Menschen mit Behinderung einen Anspruch haben“, vermutet der 57-Jährige. „Unsere Firmenphilosophie war von jeher eine andere und das ist nach rund 90 Jahren so geblieben. Auch mein Vater war immer dafür, allen eine Chance zu geben.“ Daher ist es für Dömer nichts Besonderes, dass auch andere Arbeitsplätze im Betrieb mit zwei Festangestellten besetzt sind, die „auf dem Papier“ eine Behinderung haben. Ein technischer Systemplaner ist gehörlos, ein Fachangestellter im Metallbau an Epilepsie erkrankt. Schwierigkeiten habe es deshalb nie gegeben.
Im Gegenteil: „Wir haben viel gewonnen – als Team, aber auch jeder für sich persönlich.“ Für seinen besonderen Einsatz ist das Nordwalder Unternehmen mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem als Top-Ausbildungsbetrieb von der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf und als Wegbereiter vom „Lernen fördern“-Kreisverband Steinfurt und dem Kreis Steinfurt. Nicht vergessen dürfe man auch, dass Firmen Zuschüsse erhalten bei der Einstellung behinderter Menschen: Das fange beim Telefon an und reiche bis hin zum Umbau von WC-Anlagen oder behindertengerechten Zugängen. „Die Gelder sind vorhanden. Nur der Wille muss noch wachsen.“
Quellenangaben:
Artikel erschienen in der WN, 07. August 2024, Bericht und Foto: Katrin Herbers