Ein Artikel von Gunnar A. Pier WN 24.11.2024
Greven: In den Ganztagsangeboten an Schulen sind schon jetzt die Mitarbeiter knapp. Umso mehr fürchten die Träger den geplanten Rechtsanspruch, der noch mehr Plätze nötig macht. Deshalb hoffen sie auf Quereinsteiger wie Hanna Yurchenko aus der Ukraine.
Heute wird gebastelt. In Minutenschnelle hat Hanna Yurchenko einen Tisch hergerichtet und Schülerinnen um sich geschart. Mit leuchtenden Augen erklärt sie das Projekt, und schon herrscht gespannte Konzentration in der Offenen Ganztagsschule der Martini-Grundschule in Greven. „Ich möchte einen Beitrag zur Zukunft der Kinder leisten“, sagt die 36-Jährige. „Das passt zu mir.“ Deshalb schult sie gerade um.
In den vier Münsterland-Kreisen nutzten schon im vergangenen Schuljahr (2023/2024) zwischen 30 und 40 Prozent der Grundschüler die Angebote der Ganztagsbetreuung, in der Stadt Münster gar 75 Prozent. Meist sind die “Offenen Ganztagsschulen” (OGS) an Schulen angegliedert und werden unterhalten von Trägern wie der Evangelischen Jugendhilfe oder Lernen fördern. Doch die tun sich, ähnlich wie die Kitas, immer schwerer, genügend qualifizierte Mitarbeiter zu finden.
Das Recht auf einen Ganztagsplatz kommt
Und das Problem dürfte sich bald erheblich verschärfen. Der Bund hat den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz im Grundschulalter beschlossen. Ab 2026/2027 haben alle Kinder der ersten Klasse einen Anspruch, in den Folgejahren wird der Anspruch auf die Klassen 2 bis 4 erweitert, sodass ab dem Schuljahr 2029/2030 allen Kindern der ersten bis vierten Klasse der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung zusteht. Im Endausbau rechnet die Landesregierung in NRW mit einem Bedarf für rund 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler – das sind nach Vorausberechnungen des Schulministeriums rund 590.000 Plätze. Tobias Jürgens leitet die Offenen Ganztagsschulen, die der Verband Lernen fördern in Greven betreibt. „Wir sind hier seit 2016 um 50 Prozent gewachsen“, sagt er. In 51 Gruppen an vier Grundschulen betreuen die Mitarbeiter heute 1250 Kinder. Die Nachfrage ist sehr unterschiedlich. Während an der Marienschule in der Nähe eines riesigen jungen Wohngebiets 88 Prozent der Grundschüler nach Unterrichtsschluss in der OGS bleiben, sind es an der innenstadtnahen Martin-Luther-Grundschule nur 35 Prozent.
Lange Warteliste
Allerdings gibt es eine Warteliste. Wer reinkommt und wer warten muss, hängt nicht allein vom Glück ab, sondern auch von Sozialkriterien. Kinder von Alleinerziehenden werden ebenso bevorzugt wie jene von zwei berufstätigen Eltern.
Dieses Verfahren soll Vergangenheit sein, wenn jeder Grundschüler einen Rechtsanspruch hat. „Wir gehen davon aus, dass dann 80 Prozent der Kinder in die OGS kommen“, erklärt Jürgens. „Dafür brauchen wir mehr Raum und mehr Leute.“
Hohe Erwartungen an den Offenen Ganztag
Doch Fachkräfte sind auch in dieser Branche knapp – zumal die OGS-Betreiber mitunter dieselben Leute suchen wie die ebenso verzweifelten Kita-Betreiber. „Für Offene Ganztagsschulen hat das Land keine Standards für die Qualifizierung festgelegt“, sagt Jürgens zwar – was die Suche zunächst einfacher machen sollte. „Aber wir haben uns selbst Leitplanken gesetzt.“ Denn aus den Zeiten, als im Offenen Ganztag nur die Erledigung der Hausaufgaben überwacht wurde, „sind wir rausgewachsen“. Heute sehe sich die OGS als Bildungsträger mit pädagogischem Anspruch. Entsprechend hoch seien die Erwartungen ans Team.
Viele Träger haben unterschiedliche Wege entwickelt, passendes Personal zu finden – oder gleich selbst zu qualifizieren. Wie Lernen fördern. Im Dezember 2024 endet die erste „Qualifizierung zur Betreuungsfachkraft in der Offenen Ganztagsschule (OGS)“. 13 Teilnehmer, im Schnitt etwa 40 Jahre alt, haben sich dann in 550 Theorieeinheiten, 80 praktischen Teilen und 80 Einheiten in echten Einrichtungen fit gemacht für den OGS-Einsatz.
Und die Teilnehmer für die nächste Runde starten schon Anfang Dezember. Die zertifizierte Ausbildung von Lernen fördern soll auf Sicht nicht nur Betreuungsfachkräfte für die eigenen Einrichtungen ausbilden, sondern auch anderen Trägern helfen.
Die wichtige Arbeit mit Kindern
„Unter unseren Teilnehmenden ist nur eine Muttersprachlerin“, sagt Einrichtungsleiterin Tanja Panning. Die Mehrheit bilden Zugewanderte. „Sie zeigen oft ein besonders großes Interesse“, betont Panning.
Und genau solch eine interessierte Teilnehmerin ist Hanna Yurchenko. Vor zwei Jahren kam sie aus der Ukraine nach Greven. Dort war sie Ingenieurin, doch mit dem Beruf möchte sie merklich nichts mehr zu tun haben. „Als ich den Beruf gewählt habe, war ich 17 und wusste nicht, was ich machen möchte.“ Inzwischen sei ihr klar: Sie möchte mit Kindern arbeiten. „Da verstehe ich, dass ich etwas Wichtiges mache.“