„Freunde fanden das komisch“

Berichterstattung Westfälische Nachrichten - Westfalen - vom 17.05.2021, Gunnar A. Pier

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Männliche Erzieher sind in Kitas noch selten – aber sie werden mehr „Freunde fanden das komisch“

Von Gunnar A. Pier

Wenn Jungs so 13, 14 Jahre alt sind, wollen sie Feuerwehrmann, Rockstar oder Superheld werden, weil sie so mutig sind. Als Frederik Feyer seinen Berufswunsch fasste, brauchte er ebenfalls großen Mut – um Freunden gegenüber dazu zu stehen. Du willst Kindergärtner werden? „Ich habe mich nicht beirren lassen“, sagt er. Heute ist er 31 Jahre alt und Erzieher in einer Kita. Für ihn ist das selbstverständlich. Und für die Eltern so langsam auch.


Männliche Erzieher sind immer noch eine Seltenheit. Zum Stichtag am 1. März 2020 arbeiteten in NRW gut 7200 Männer als pädagogische Fachkräfte in einer Kindertageseinrichtung – aber 117 355 Frauen. Das geht aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion hervor. Der Männer-Anteil stieg demnach seit 2018 um 0,9 Prozentpunkte auf 5,8 Prozent. In zwei von drei Kitas ist gar keine männliche Fachkraft beschäftigt. Der Anteil der männerlosen Kitas sank aber von 73,6 Prozent im Jahr 2017 auf 65 Prozent 2020.

 

In der Kita Kinderland in Rheine sind von 20 Erziehenden drei männlich – also 15 Prozent. Das kommt nicht von ungefähr: „Wir möchten, dass sich stereotype Verhaltensweisen schneller auflösen“, erklärt Ludger Lünenborg, stellvertretender Geschäftsführer des Steinfurter Lernen-fördern-Kreisverbands. Deshalb bemühe sich der Träger von 20 Kitas aktiv um Männer. Gelingt es etwa einer Kita, einen männlichen Auszubildenden zu finden, erhält sie dafür eine zusätzliche Stelle. Ein nachhaltiges Konzept, wie Lünenborg betont: „Die Leute, die wir selber ausbilden, bleiben meistens auch bei uns.“

 

Also ist die Laufbahn von Steffen Stegemann typisch, noch so ein Mann in der Rheinenser Kinderland-Kita. „Ich wollte einen Job machen, der vielseitig ist, in den ich mich selbst einbringen kann und wo ich direktes Feedback bekomme“, erinnert sich der heute 25-Jährige. Das mag für Feuerwehrmann, Rockstar und Superheld auch gelten – doch Stegemann fand seine Berufung in der Kita. „Meine Freunde fanden das komisch, aber das war mir egal.“ Nach dem Abi begann er die Ausbildung, das Anerkennungsjahr absolvierte er bereits im Kinderland Rheine. Heute arbeitet er dort an einem Tag in der Woche und studiert zugleich Erziehungswissenschaften.

 

Doch komplett geräuschlos geht es häufig nicht zu. „Es gab zum Beispiel mal eine Familie, die nicht wollte, dass ich ihr Kind wickele, weil ich nicht verheiratet war und keine eigenen Kinder hatte“, erinnert sich Frederik Feyer. Und dann? Lernen fördern ist da konsequent: Sie müssen sich damit abfinden. „Es gehört zu unserem Konzept, auch männliche Erzieher zu beschäftigen“, stellt Ludger Lünenborg klar. „Wenn in einer Kita erstmals ein Mann anfängt, gehen wir aktiv auf die Eltern zu und informieren sie über unser Selbstverständnis. Das ist in der Regel ausreichend.“

 

Frederik Feyer ist seit zehn Jahren Erzieher und stellt fest: „Da hat sich vieles gewaltig verändert.“ Anfangs hätten die Kinder ihn manchmal versehentlich „Papa“ genannt, weil sie es selbst so ungewöhnlich fanden, dass ein Mann mit ihnen spielt. Doch längst hätten sich auch in den Familien die Rollen verändert. Dass etwa Väter ihre Kinder von der Kita abholen, habe es noch vor zehn Jahren kaum gegeben – heute ist es Alltag. Und so gebe es neben einigen skeptischen Eltern viel mehr, denen wichtig sei, dass es auch männliche Bezugspersonen für ihre Kinder gibt.

 

Feyer ist seit einigen Jahren Leiter der Kita. Eigentlich ist er damit freigestellt von der Gruppenarbeit, um Raum zu haben für Dienstplanung, Personalgespräche, Abrechnungen. Aber jede Woche ist er einen Nachmittag fest in einer Gruppe. „Wenn ich keine Bindung zu den Kindern habe, kann ich doch meine ganze pädagogische Arbeit vergessen.“ Und dann sagt er etwas, was genervte Eltern am Ende eine Kita-freien Wochenendes mitunter verwundern dürfte: „Wenn es zu stressig ist und ich durchatmen möchte, gehe ich zu den Kindern.“